Eine der wichtigsten Regeln im Bereich der User Experience lautet: Menschen lesen keine Texte am Bildschirm. Sie scannen. Ja, es gibt eine ganze Menge derartiger Regeln, doch diese ist ganz entscheidend, wenn es darum geht, Menschen bei der Bedienung eines Systems Informationen zu geben. Wir kommen darauf gleich nochmal zurück. Zunächst möchte ich allerdings, dass der geneigte Leser folgende Sätze liest: „Ncah eienr Stidue der Cmabirdge Uinertvisy ist es eagl, in wlehcer Rehenifloge die Bcuhstbaen in Woeretrn vokrmomen. Huaptschae, der esrte und ltzete Bcuhstbae snid an der rhcitgien Setlle.“ Na, alles verstanden? Verblüffend, oder?
Dieser Text stammt aus einer Mail des Jahres 2003 und erstaunte zu seiner Zeit Publikum wie auch Fachleute, denn obwohl der Text zunächst wie Buchstabensalat wirkte, so war er doch lesbar. Besonders erstaunt waren allerdings die Forscher der Cambridge University, die sich keiner Forschung in diesem Bereich bewusst waren. Der Linguist Matt Davis war jedoch sofort Feuer und Flamme und erstellte einen Wortverdreher, mit dessen Hilfe weitere derartige Texte generiert werden konnten. Es stellte sich bei seiner Forschung heraus, dass es bei diesem Phänomen auf bestimmte Aspekte ankam:
- Die benutzten Wörter mussten dem Leser bekannt und gebräuchlich sein
- Die Buchstaben durften nur bis zu einem bestimmten Grad vertauscht werden
- Der erste und letzte Buchstabe eines Wortes musste an der korrekten Stelle verbleiben
Waren diese drei Bedingungen erfüllt, konnten Leser jeden Text verstehen, den man ihnen „verschlüsselt“ vorsetzte. Die Forschung entstand zunächst in englischer Sprache und es stellte sich bald heraus, dass es in manchen Sprachen schwieriger war, derart verdrehte Texte zu verstehen, wie zum Beispiel im Hebräischen. Dennoch ist das Phänomen mittlerweile gut erforscht und scheint bis heute zu faszinieren. So hat zuletzt der amerikanische Psychologe Keith Rayner eine Untersuchung dazu veröffentlich. Pionier in dieser Forschung scheint allerdings Graham Rawlinson zu sein, der bereits 1976 nachwies, dass die Stellung einzelner Buchstaben in einem Wort keinen Einfluss auf das Verständnis hat.
Was hat das Phänomen der verdrehten Buchstaben mit UX zu tun?
Insgesamt kam die Forschung auf folgendes Ergebnis: Menschen lesen Wörter nicht Buchstabe für Buchstabe. Sie erkennen Wörter und ihre Bedeutung als Ganzes. Wer Kinder beim Lesenlernen beobachtet kennt es: Kinder lesen ein Wort Buchstabe für Buchstabe. Sie lesen ein „s“ und erkennen erst beim folgenden „c“ und „h“, dass es sich um „sch“ handelt. Erwachsene, erfahrene Leser erkennen dies sofort. Und mehr noch, sie erkennen Wörter quasi wie ein Bild. Ein Blick genügt. Dies führt beispielsweise auch dazu, dass es schwer fällt, nicht zu lesen. Ein großes Werbeplakat, mit großer knalliger Schrift und schon hat man es aufgenommen, ob man will oder nicht. (Dazu werde ich in Kürze noch etwas schreiben).
Was sagt uns dieses Phänomen nun für den Bereich der Usability und der User Experience? Nun, zunächst einmal steht die These im Raum, dass ein Bild mehr als 1000 Worte sage. Dem stehe ich persönlich immer etwas zwiespältig gegenüber und wie ich in diesem Artikel bereits schrieb, können missverständliche, nicht eindeutige, unbekannte oder zu ähnliche Bilder (in diesem Fall Icons) eher einen nachteiligen Effekt haben. Vermutlich lag hier auch die Begründung, weshalb Apple auf die Icons verzichtete und fortan seine Produkte mit reinem Text darstellt. Weil es kaum länger dauert, das Wort „MacBook Pro“ zu lesen und zu verstehen, als eine Grafik eines MacBook Pros zu identifizieren.
Kommen wir also noch einmal auf den ersten Abschnitt zurück: Menschen lesen nicht an einem Bildschirm. Sie scannen. Das ist absolut korrekt. Auch dieser Text hier wird vermutlich nicht so gelesen, wie in einem Buch oder einer Zeitung. Der geneigte Leser wird diesen Text eher an einem Desktop-Monitor, wahrscheinlicher sogar auf einem Smartphone-Bildschirm konsumieren. Doch um diese Art von Text geht es dabei gar nicht. Sondern darum, dass Menschen, die an einem Bildschirm sitzen, ein Ziel haben. Und das möchten sie möglichst schnell und mit geringstem Aufwand erreichen. Nämlich die gesuchte Information finden, die sie benötigen. Um beispielsweise eine Aufgabe erledigen zu können, eine Bestellung zu tätigen, die Frage beantwortet zu wissen, etc. Menschen wollen nicht lange lesen, sie scannen einen mit Text gefüllten Bildschirm nach Schlüsselwörtern, nach Informationen, die ihnen weiter helfen. Und dabei gehen sie oft ganz ähnlich vor. In der westlichen Sprachwelt in einem F-Schema, von links oben beginnend und weiter nach rechts.
Und hier kommt UX ins Spiel. Wir müssen Leser, Anwendende, Suchende hierbei unterstützen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir Informationen hierarchisch darstellen, wichtige Informationen zum Beispiel größer und / oder fetter dargestellt werden, als weniger wichtige. Wir müssen Informationen dort abbilden, wo der Leser sie vermutet. Und vor allem müssen wir die richtigen Informationen anzeigen. Nur so erreicht der Leser ohne Frust sein Ziel.
Das Wissen um die Aufnahme von Wörtern kann dabei helfen. Nicht immer sind Icons und Grafiken hilfreich. In bestimmten Situationen dauert es länger, den Sinn einer Grafik zu interpretieren, als das ausgeschriebene Wort. Wenn das menschliche Gehirn sogar in der Lage ist das Wort „Hlife“ problemlos zu verstehen, dürfte es mit einer Grafik kaum schneller gehen. (Und ich würde an der Stelle die Diskussion starten wollen, mit welchem Icon ein „Hilfsfunktion“ abgebildet werden sollte. Einem Fragezeichen?)
Das menschliche Gehirn ist zu außerordentlichen Dingen imstande und dennoch braucht es Fachleute wie Usability- und User Experience Designer, um in komplexen Umgebungen und Anwendungen eine möglichst gute Darstellung und Informationsweitergabe zu schaffen. Scheut euch also nicht, statt übermäßigen Grafiken Wörter zu benutzen. Wir lesen (oder scannen) sie schneller, als manch einer denkt.
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