Eine Gruppe von Menschen sitzt an Tischen an einem Sandstrand.

Meine Experience beim UX-Festival der GermanUPA in Erfurt

„You are not the user“ ist mit Sicherheit eine der wichtigsten Regeln im Bereich des User Experience Designs. Egal wie sehr wir es durch Zuhören, Beobachten und mit Empathie versuchen, als Designer werden wir nie das gleiche erleben wie echte Anwendende, die in einem anderen Kontext stecken, anders denken, anders empfinden. Doch auch wir UX Designer sind Menschen und oft nichts weiter als User, die eine Experience haben (wir betrachten sie vielleicht nur anders – Berufskrankheit).

Wenn ich also über das mittlerweile zweite UX-Festival der GermanUPA in Erfurt am 17. und 18. Juni 2023 berichten möchte, könnte ich die Fakten aufzählen, die einzelnen Vorträge auflisten, die Menschen, die ich kennenlernen durfte mit Namen nennen. Oder ich könnte einfach versuchen, meine User Experience zu beschreiben.

Die User Journey

Die Reise begann mit einer Bahnfahrt mit meinem ehemaligen Team, einem Hotel in angenehmer Nähe zum Bahnhof, einem abendlichen Spaziergang durch die Erfurter Altstadt und einem gleichzeitigen Bummel über das bunte und vielfältige Erfurter Krämerbrückenfest. Der Spaziergang am nächsten Morgen zum Zughafen, der Event-Location in alten, urigen Hallen des nahegelegenen Güterbahnhof, zauberte uns ein Lächeln herbei, denn kleine, auf die Straße gemalte UX-Wegweiser leiteten uns. Es sind die Details, die den Unterschied machen. Das Lächeln verließ uns nicht bei der Ankunft am Veranstaltungsort, der Ausgabe unserer Teilnehmer-Badges, der herzlichen Begrüßung von vielen orange gekleideten Helfern und der Vorfreude auf die kommenden Tage. Schnell wurde klar, was uns alles an diesem Barcamp geboten werden würde.

Community
UX Sign

Informations- und Navigationsarchitektur

Wer das Prinzip eines Barcamps noch nicht kennt: Jeder Teilnehmende kann eine Session zu einem bestimmten Thema einreichen, dann wird die ungefähre Teilnehmerzahl ermittelt, um daraufhin einen passenden Zeitslot und eine Örtlichkeit für die Session zu finden. Sessions können Workshops sein, Vorträge, Präsentationen, Gesprächsrunden oder gar Selbsthilfegruppen. Alles ist erlaubt.

Auf dem UX-Festival mussten insgesamt 62 mögliche Sessions in 5 Zeitslots an 8 (oder mehr) unterschiedlichen Plätzen in eineinhalb Tagen verplant werden. An einem Whiteboard oder auch online konnte man sich jederzeit informieren, wo welche Session stattfindet. Hat man das Gefühl, in einer Session nichts mehr mitnehmen oder beitragen zu können, kann man sie jederzeit verlassen, eine andere besuchen oder etwas völlig anderes zu tun. Die großartige Moderation und die Möglichkeit, mitgestalten, mitarbeiten oder sich zurücklehnen zu können, vermittelte im Vergleich zu anderen, starren Konferenzen ein gewisses Gefühl der Freiheit.

Sessions

Content, Margins, Whitespaces

Neben all der Annehmlichkeiten und der Freiheit ging es auch in diesem Jahr darum, zu lernen, Erfahrung zu sammeln, sich auszutauschen. Die Sessions waren bunt und vielfältig. So wurde erklärt, wie Gamification in Produkten genutzt werden kann, wie man mit Hippos (Highest paid persons opinion) umgeht, wie man die eigene Perfektion in den Griff bekommt und wo UX bei der Nachhaltigkeit unterstützen kann. In weiteren Sessions wurde erörtert, was die Gastronomie mit UX zu tun haben könnte. Es wurde dafür geworben, weitere Mentoren zu finden (eine Runde, in der ich selbst ein wenig beitragen konnte). Und der Arbeitskreis UX Writing, in dem ich Mitglied bin, berichtete von seinen bislang erarbeiteten Heuristiken, die im September auf der Mensch und Computer Konferenz (ebenfalls von der GermanUPA) vorgestellt werden sollen.

Nachhaltig beeindruckt hatten mich zwei Workshops. Zum Einen „Perspektivenwechsel bei der Produktentwicklung“ von Thomas Hermenau. Und zum zweiten „Was macht UX Management“ von meinem persönlichen Helden Dominique Winter. Im Perspektivenwechsel-Workshop war die Aufgabe eines Teilnehmers die Rolle eines Product Owners einzunehmen, der nur durch sprachliche Anweisungen einer Gruppe von Entwicklern (wir anderen) mitteilen durfte, wie ein Auto aus Legosteinen gebaut werden sollte. Die Anleitung dafür war am anderen Ende des Raumes, wodurch der Product Owner zusätzlich die Schwierigkeit hatte, sich Dinge zu merken zu müssen und diese so zu vermitteln, dass die Erbauer es verstanden. Es dürfte keine Überraschung sein, dass am Ende ein Auto gebaut wurde, das nur grob aussah, wie gedacht. (Schönes Randdetail dabei, dass die Entwickler natürlich bereits mit dem Bau des Autos begonnen hatten, noch bevor der Product Owner etwas dazu gesagt hatte – weil, ist ja klar, wie ein Auto aussehen sollte, ne?)

Im UX Management Workshop bestückten drei Gruppen unter Zeitdruck jeweils ein Poster mit relevanten Punkten zum Thema UX Ziele, UX Strategie und UX Ressourcen, stellten die Inhalte vor und wechselten dann zum jeweils nächsten Poster, um dieses mit größerem Zeitdruck zu ergänzen. Nach dem dritten Wechsel war es faszinierend zu sehen, wie viel dermaßen guter Content in nur 45 Minuten erstellt worden war. Einfach durch die Tatsache, dass die Teilnehmer motiviert waren, Spaß hatten und die Methode perfekt passte.

Sessions

Research und iterative Verbesserungen

Die Veranstalter hatten auf die Teilnehmer des ersten UX-Festivals gehört. So wie richtige UX Professionals es nunmal tun. Dinge, die im Jahr zuvor nicht ganz reibungslos funktionierten, wurden geändert, alles weitere blieb oder wurde verbessert. So waren die Locations der einzelnen Sessions besser voneinander getrennt, um akustische Störungen zu vermeiden. Das Catering war in diesem Jahr günstiger platziert, qualitativ deutlich besser und – zu unserer Überraschung – sogar kostenlos dank großzügiger Sponsoren.

Neben kostenlosen Getränken standen jederzeit Obst und Süßigkeiten zur Verfügung und der Zughafen selbst gab weiterhin viel Raum, um es sich zum Beispiel in Liegestühlen bei bestem Sonnenwetter in feinem Sandstrand gemütlich zu machen und sich auszutauschen. Daneben stand im Angebot T-Shirt Druck, Yoga, Tanz-Akrobatik mit alten XBox Kinect-Controllern, ein Eisstand, eine kostenlose Fotobox und natürlich auch die obligatorische Disco. Ob das spätabendliche Feuerwerk zum Krämerbrückenfest oder doch zum UX-Festival gehörte, konnte nicht abschließend geklärt werden, war aber eine gelungene Krönung.

Healthy Food

FOMO und zu viele Optionen

Wenn es Kritik anzumelden gibt, dann vielleicht diese: Die Masse an Teilnehmern, Sessions, Locations und Möglichkeiten machten es mir schwer, Entscheidungen zu treffen. „Too many options“ ist ein weit verbreitetes Problem heutiger Systeme und führt zu schlechter User Experience. Auch wenn das „Law of two feet“ galt (also die Möglichkeit, jederzeit Sessions zu wechseln oder zu verlassen) hatte ich zu oft das Gefühl, spannende Dinge in den anderen, parallel laufenden Sessions zu verpassen. Auch zum gemütlichen Austausch war oft wenig Zeit, weil ein jeder in die nächste Session wollte. Ein Luxusproblem, gewiss. Aber eines, auf das man sich vorbereiten sollte. Denn wenn die Teilnehmerzahl jährlich steigt, werden auch die Sessions und die Optionen jährlich mehr werden. Und ob es dann eine gute Idee ist, das Festival über drei Tage zu machen?

Auch wurde in der Vorstellungsrunde zwar grob erklärt, welchen Inhalt jede Session haben sollte – im späteren Entscheidungsprozess war es dann aber doch etwas schwer, sich zu erinnern oder einen Überblick zu bekommen, um eine „gute“ Entscheidung treffen zu können. Natürlich, keine Entscheidung war am Ende falsch, jede Session und jedes Gespräch war genau richtig. Das Gefühl, etwas verpasst zu haben, blieb bei mir dennoch.

Lego Enten

Die Experience

Das UX-Festival ist und war auch diesmal geprägt von tollen Menschen, von Offenheit, Neugier, Menschlichkeit. Von einem großartigen Miteinander und einem ständigen Wir-Gefühl. Zwei Tage hatte ich das starke Gefühl unter meinesgleichen zu sein, unter Menschen, die mich verstehen, meine Nöte und Probleme kennen. Menschen, die bereits in ähnlichen Situationen steckten oder gerade dabei sind, dort hinein zu geraten und froh sind, von anderen lernen zu können.

Es war phantastisch zu erleben, dass unter den etwa 300 Teilnehmern nicht nur UX Professionals gekommen waren, sondern auch Entwickler, Produktmanager, Strategen, Marketingleute, die alle an diesem großen Thema UX arbeiten und verstehen wollen, wie wir es schaffen, gute UX zu etablieren. Denn auch das hat dieses Festival wieder gezeigt: Es geht am besten (oder gar nur) gemeinsam. Und: Es sind die Menschen, die gute UX schaffen, die verstehen, wie Menschen funktionieren und welche Anforderungen sie haben.

In Zeiten, in denen aus allen Richtungen zu hören ist, dass AI uns Designern die Jobs wegnehmen wird, bin ich davon überzeugt, dass wir weiterhin Menschen benötigen, die mit Verstand und Empathie, mit Visionen und unterschiedlichen Perspektiven weitaus bessere Erlebnisse schaffen werden. Heute mehr denn je. Und auch wenn es abgedroschen klingen mag: Ja, wir arbeiten daran, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Und als UX Professional und Mentor bin ich stolz und glücklich, Teil dieser Community sein zu dürfen.

Und so kann ich nur alle Lesenden einladen, im nächsten Jahr am 15. und 16. Juni 2024 ebenfalls dabei zu sein, zu lernen, sich zu vernetzen, sich auszutauschen und Spaß zu haben.

Gruppenfoto
Sonnenuntergang auf dem UX Festival

Die Aufzeichnungen des Live Streams

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