Die Verträge sind unterschrieben. Die Tinte ist trocken. Es ist entschieden. Ich werde mein geliebtes Müllheim verlassen. Auch Freiburg werde ich den Rücken kehren, dem Breisgau, dem Markgräflerland, ja sogar Baden Württemberg wird mich nicht mehr zu seinen Bewohnern zählen können. Am 1.Juli 07 beginnt mein neues Leben in Duisburg. Und wie ihr euch vorstellen könnt, bin ich ganz schön aufgeregt.
Wenn ich von meinem neuen Leben spreche, meine ich das auch tatsächlich so. Zunächst ist Duisburg und der komplette Ruhrpott eine völlig neue und fremde Umgebung für mich. Und für jemanden, der seine Jugend im beschaulichen Weil am Rhein verbrachte und die letzten zehn Jahre im schnuckeligen Müllheim wohnte, kommt der Umzug in eine Großstadt einem kleinen Kulturschock gleich.
Es gibt natürlich einen Grund, weshalb ich diesen Umzug auf mich nehme. Ich habe einen neuen Job. Und auch hier handelt es sich um etwas völlig Neues und mir weitestgehend Unbekanntes. Somit ist auch die berufliche Neuorientierung ein Sprung ins kalte Wasser für jemanden, der Zeit seines Lebens nur einen Beruf ausgeübt hat. Nämlich den des Lokführers, der natürlich ein Kindheitswunsch war.
Nun also etwas Neues. Eigentlich alles Neu. Alles auf Null.
Ich habe diesen Satz „Alles auf Null“ in letzter Zeit oft gebraucht. Nun ist der Grund dafür wohl klar. Denn mit der Neuausrichtung meines Lebens wurde auch der Wunsch geweckt, sich von alten Dingen zu trennen, alte Zöpfe abzuschneiden. Daher zum Beispiel die Entscheidung, meinen Roman vom Markt zu nehmen. Daher auch der Gedanke, dass dies der richtige Zeitpunkt ist, auf Apple umzusteigen (in meinem Träumen sehe ich mich in meinem Großstadtloft an einem dunklen Eßzimmertisch sitzen, auf dem lediglich eine mit Obst gefüllte Schale, ein Glas Rotwein und ein silbernes MacBook steht). Es gab noch einige Details mehr, die sich bereits geändert haben oder es noch werden. Wichtige, wie banale. Es ist in der Tat aufregend.
Und gleichzeitig auch traurig. Denn ich lasse nicht nur Ballast zurück, sondern auch lieb gewonnene Menschen und meine Heimat. Also alles, was zu mir gehört. Darüber hinaus lasse ich auch profane, wirklich banale Dinge zurück, wie zum Beispiel die Möglichkeit, SWR3 zu hören, einfach so in die Schweiz zu fahren oder Pizzafleischkäse (scheint es im Ruhrpott nicht zugeben). Das klingt lächerlich, doch wird mir immer stärker bewusst, welche Vielzahl an Details es sind, die die Heimat eben zur Heimat machen.
Was die lieb gewonnen Menschen anbelangt, so habe ich doch die starke Hoffnung und den Willen, alle durch gegenseitige Besuche so oft wie möglich zu sehen. Allen voran natürlich die Familie und die damalige Freundin, die ich hier im Ländle zurück lasse. Aber auch die Freunde, die sich selbst schon in ganz Deutschland verteilt haben. Und sogar die Freiburger Blogger, zu denen ich demnächst nicht mehr gehören werde.
Wer mich näher kennt, weiß, dass ich im Grunde meines Herzens ein Dinosaurier bin (ich denke da an diese großen, trägen Pflanzenfresser mit dem langen Hals und dem ebenso langen Schwanz), der sich nur schwer anpassen kann und es gerne so hat, wie er es gewohnt ist. Umso erstaunlicher mag meine Entscheidung sein. Ein neues Leben in fremder Umgebung, mit einem neuen, unbekannten Job, ohne Sicherheitsnetz und Rückfallebene – das war 30 Jahre lang nicht gerade mein Wunschtraum. Aber umso wichtiger, umso besser und umso aufregender ist es nun, dieses Abenteuer zu wagen. Wann, wenn nicht jetzt?
Nun gut, manch einer wird vielleicht denken, ich solle mich nicht so anstellen. Schließlich ziehe ich ja nur 500 Kilometer in den Norden. Fast jeder hat etwas ähnliches in seinem Leben schon hinter sich gebracht. Wer dies allerdings noch vor sich hat, es sich gar nicht erst vorstellen kann, oder nun, mit 33 Jahren zum ersten Mal einen solchen Schritt wagt, wird mir meine Aufregung vielleicht nachfühlen können.
Glücklicherweise gibt es ja auch vieles, das sich nicht ändern wird. Mein Blog wird weiterhin bestehen. Und ich bleibe auch weiterhin per Chat, Mail oder Phone erreichbar. Selbstverständlich wird mich alles, was mir ans Herz gewachsen ist, in die „Fremde“ begleiten. Meine Filme, die Bücher, ja sogar meine geliebten Songs auf meinem iPod und noch banalere Dinge. An Erinnerungen mangelt es also nicht und ich überlege, mir vielleicht noch eine von diesen Städte Jacken mit einem Freiburg Schriftzug zu kaufen (oder schenken zu lassen). Der Dinosaurier zieht auf eine neue Weide und nimmt sich dabei ein Bündel seines Lieblingsgrünzeugs mit.
Derzeit bin ich auf intensiver Wohnungssuche, was sich etwas knifflig erweist. Man kann ja nicht eben mal nach Duisburg fahren, um sich ein Objekt anzusehen. Außerdem muss ich noch eine günstige Umzugsspedition finden, da mir ein Freund einen versprochenen LKW nun doch nicht zur Verfügung stellen darf. Bald schon wird das Rennen auf verschiedene Ämter losgehen.
Anrufe mit Ummeldewünschen werden getätigt und dutzende Mails und Briefe werden verschickt, um den neuen Wohnort zu verkünden.
Am 9.Juni arbeite ich zum letzten Mal in meinem alten Job. Damit wird eine kleine Ära zu Ende gehen, denn mein Traumjob Lokführer wird nach diesem Tag hinter mir liegen. Und eine neue, spannende Herausforderung wird seinen Platz einnehmen.
Alles auf Null.
Erinnert ihr euch, wie ich vor kurzem erzählte, dass ich mir manchmal vorstelle, mein Leben sei eine Fernsehserie? Nun, die Serie „Roger Graf – ein Lokführer aus Müllheim“ geht ihrer letzten, finalen Episode entgegen. Es werden in den verbleibenden Folgen hoffentlich nochmals alle Darsteller auftreten und alle lieb gewonnenen Locations besucht. Ich hoffe, die Serie endet schön, ohne großes Drama oder Herzschmerz, dafür aber mit dem Gefühl, ein vorübergehendes Happy End erreicht zu haben (um sich auf die Suche nach dem nächsten zu begeben). Ich hasse Abschiede.
Ich stelle mir vor, die letzte Szene läuft folgendermaßen ab: Ich stehe in der nun zum ersten Mal seit zehn Jahren leer stehenden Wohnung und sehe mich ein letztes Mal um. Dann schnappe ich meinen Rucksack, gehe hinaus und schließe die Tür hinter mir. Dazu hört man im Hintergrund Bruce Springsteens „Glory Days“.
Und dann? Dann startet eine brandneue Serie in einer neuen Stadt, mit neuen Abenteuern. Ich hoffe auf viele Gaststars aus der alten Serie und ich hoffe, dass die neue mindestens genauso spannend, witzig, dramatisch, nachdenklich, traurig, besinnlich und manchmal etwas schräg wird, wie die alte.
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