Der Taxifahrer fuhr früher zur See und damals war alles ganz anders am Kiez. Die Mädchen waren leichter, wie er sagt, und nicht so durchtrieben. Man gab einem Mädchen Geld und hatte es für eine Woche an seiner Seite, so lange das Schiff im Hafen lag. Heute war, wie gesagt, alles anders. Und die Fahrt vom Hotel zum Stilwerk in Hamburg viel zu kurz, denn der Taxifahrer hätte bestimmt ein ganzes Sammelsurium interessanter Geschichten zu erzählen gehabt. Letztlich waren wir aber auch hier um selbst interessante Geschichten zu erleben. Die Künstlerin Michaela von Aichberger hatte zu ihrer Ausstellung geladen. Unter dem Namen @Frauenfuss malt die ausgesprochen natürliche und liebenswerte Michaela ausgewählte Menschen, die ihr bei Twitter folgen. Das besondere daran ist, dass sie keine wirklichen Portraits malt, niemand Modell stehen muss und sie sich stattdessen von den Twitter-Accounts der Leute inspirieren lässt. Von den Profilbildern, von den gewählten Namen und nicht zuletzt vom Geschriebenen. Daraus entstehen manchmal skurrile, witzige und doch meist recht treffende kleine Kunstwerke, die sie in Moleskines festhält. Und das Ganze nennt sich dann „Ich male meine Follower“.
Zum vierten Mal nun wurde eine Vernissage organisiert und diesmal fand sie in besagtem Stilwerk in Hamburg statt. Direkt neben dem berühmten Fischmarkt in einem alten Speicherstadt-Gebäude dessen Interieur kaum moderner hätte wirken können. Oben in der fünften Etage trafen wir auf eine Party, die unsere Vorstellung sprengte. Wir, das waren mein „Schwesterherz“ @LadyGeen und ein sehr guter Freund aus Freiburg @kollektivb. Schon als wir den großen Saal betraten, war ich überwältigt, wie viele Menschen her gefunden hatten. Im vorderen Bereich des Raumes standen Stühle vor einem Podium, wo in wenigen Minuten die Lesungen bekannter Blogger und Twitterer stattfinden sollten, weiter hinten, schön beleuchtet, die kleinen Kunstwerke in dezenten schwarzen Rahmen. Schnörkellos und schick präsentiert. Die Veranstaltung war (bis auf die schnell knapp werdenden Getränke) großartig organisiert, chillige Musik schallte, Fotos knipsten, Kameras filmten und selbst die Hamburger Morgenpost fing Stimmen ein.
Nun wird man sich als Außenstehender, der besonders mit Twitter gar nichts am Hut hat fragen, weshalb man zu einer solchen Ausstellung geht. Und dafür gibt es eine Menge Gründe. Der wichtigste für mich war mit Sicherheit der persönliche Kontakt. Endlich mal die Menschen hinter den Tweets treffen zu können. Zu sehen, wie diese Schreiberlinge im realen Leben aussehen und wirken. Gute Bekannte, Freunde treffen und vielleicht neue finden. Die virtuelle Ebene von Twitter zu verlassen und auf eine persönliche herunter zu holen. Ein jeder trug seinen Twitternamen sichtbar an seinem Körper und wie oft ich stehen blieb und verdutzt zu mir selbst sagte „DAS ist…?“ kann ich gar nicht zählen.
Twitter, das wurde hier wieder besonders deutlich, ist nicht nur die anonyme Plattform, auf der sich lichtscheues Gesindel mit Oberflächlichkeiten bewirft. Hinter den Tweets, hinter den Profilbildern und lustigen Namen stecken Menschen, meist wie du und ich. Man kann bei Twitter wertvolle Menschen finden, mit denen man sich anfreunden möchte. Man kann auch Menschen kennenlernen, denen man in echt lieber nicht begegnen möchte. Alles ist möglich und auf einer solchen Veranstaltung, weg von der Tastatur, filtert sich schnell heraus, „wer wie drauf ist“.
Genau das fängt Michaela von Aichberger in ihren kleinen Gemälden ein. Sie zeigt, wie sie die Twitterer an der Tastatur wahrnimmt. Wie ähnlich diese Art, sich im Netz zu präsentieren dem kommt, was jemand im echten Leben darstellt ist oftmals verblüffend, wie sie selbst sagt. Ich traf einige mittlerweile sehr gute Freunde wie @emiliablue oder @kleinkram oder @rachelzwitscher. Doch sollten im Laufe des Abends noch viele Gespräche geführt werden, bei denen man feststellt, dass man auch ein @Eimerchen, einen @pjakobs, eine @snoopsmaus oder selbst einen @germanpsycho nicht mehr missen möchte. Echte, tolle Menschen hinter witzigen Namen versteckt. Und alle schon mit einem Bild von @frauenfuss geehrt.
Und diese Ehre wurde am Ende des Abends dann sogar mir zuteil. Beseelt von Rotwein stand ich aufgeregt am Tisch der Künstlerin und beobachtete sie, wie sie mich in der Badewanne malte. Natürlich mit einem Glas Rotwein in der Hand. Und einem charmanten Schreibfehler im Begleittext. Ja, ich war stolz auf das Portrait. Und zum Dank gab es noch eine feste Umarmung dazu.
Der Abend war perfekt. Wie ließen ihn weit nach Mitternacht in einer Kneipe bei gutem Essen ausklingen, nur um danach wieder Fahrt aufzunehmen und den Kiez unsicher zu machen, in einer Bar und einem Irish Pub zu landen um schlussendlich am Fischmarkt zu frühstücken und zu beobachten, wie es hell wird. Der Taxifahrer, der uns zum Hotel zurück brachte, hatte es eilig und ein Möwenmordtrauma, was mich allerdings nicht wirklich interessiert.
Die Bilder von @Frauenfuss sind derzeit noch in Hamburg zu besichtigen, weitere Termine werden mit Sicherheit auf ihrer Website und natürlich bei Twitter bekannt gegeben. Außerdem hat man in ihrer Twitpic-Galerie die Chance, alle Gemälde sehen zu können. Ihr Mann Michael von Aichberger fing tolle Momente ein, die hier betrachtet werden können. Ich werde meine Flickr-Galerie morgen mit eigenen Fotos bestücken und dann hier verlinken.
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