Du bist eine Klowand

Ja, da ging ein Ruck durch Deutschland. Ich habe ihn gespürt, denn ich bin ja Deutschland. Und dazu noch Blogger. Denn ehrlich gesagt ging dieser Ruck mehr durch das bloggende Deutschland und veranlasste sehr viele Blogs zu der Überschrift, die ich hier ebenfalls benutze. Was war geschehen?

Die Kampagne „Du bist Deutschland“ kommt offensichtlich nicht so gut an in dem Land, das es betrifft. Zwar liest man auf der offiziellen Seite dazu sehr optimistische Zahlen. Doch die Gegenbewegung in den Blogs, bei Flickr und weiteren zeigen ein anderes Bild. Deutschland scheint sich eher auf den Fuß getreten zu fühlen und macht sich auch noch über die gesamte Kampagne lustig. Wie gemein. Das ist Deutschland?

In etwa diese Frage stellte sich Jean-Remy von Matt von der renommierten Werbeagentur Jung von Matt. Allerdings formulierte er es etwas anders, etwas beleidigter und schrieb das Ganze in eine E-Mail an die Belegschaft. Wie es das Schicksal wollte, erreichte diese Mail die Öffentlichkeit und brachte damit eine Lawine ins Rollen, die der Agentur nun noch weniger gefallen dürfte, als die Verhohnepipelung ihrer tollen Kampagne.

Hier die Mail:

Meine Mutter hat mir beigebracht, dass man sich für ein Geschenk bedankt, selbst wenn man damit nichts anfangen kann. Wie Recht sie hatte, ist mir gerade wieder klar geworden.

Vor zwei Wochen startete „Du bist Deutschland“, die größte gemeinnützige Kampagne aller Zeiten und ein riesiges Geschenk.

Die großen Verlage haben Zeit und Raum im Wert von 35 Millionen Euro geschenkt. 30 Promis der ersten Liga haben Zeit und ihr Gesicht geschenkt. Wir und kempertrautmann haben Zeit und Herzblut geschenkt.

Das Ziel: Die Miesepetrigkeit bekämpfen.

Der Dank: Miesepetrigkeit. Glücklicherweise nur von den Gruppen, von denen man nichts besseres erwarten konnte:

1. Von den Werbekollegen, die sich in den Branchenblättern eifrig zu Wort meldeten. Viele von ihnen finden die Kampagne nutzlos, „weil Werbung doch nicht das geeignete Mittel sein kann, eine Nation wirtschaftlich wieder nach vorn zu bringen“. Nicht gut, wenn unsere Branche selber nicht mehr an die Kraft von Kommunikation glaubt.

2. Von den Weblogs, den Klowänden des Internets. (Was berechtigt eigentlich jeden Computerbesitzer, ungefragt seine Meinung abzusondern? Und die meisten Blogger sondern einfach nur ab. Dieser neue Tiefststand der Meinungsbildung wird deutlich, wenn man unter www.technorati.com eingibt: Du bist Deutschland.)

3. Von den intellektuellen Journalisten von FAZ bis TAZ, die ihre Meinung zwar insofern gefragt absondern als sie eine nachweisbare Leserschaft haben, aber: „Den Höhepunkt an Zynismus gewinnt die Kampagne aber in dem Fernsehspot, der Schwule und Behinderte auf dem Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals versammelt“ (Die Zeit).

Blöd, wenn man soviel Kopf hat, dass einem jedes Bauchgefühl verloren gegangen ist.

Übrigens: Sebastian Turner findet die Kampagne einfach nur falsch.

Falsch, was ist das? Auch nach dem 50. Mal gucken, bin ich von dem TV-Spot immer noch berührt bis ergriffen – obwohl ich nicht einmal Deutschland bin.

Kann das falsch sein?
Euer Jean-Remy

Man ist im ersten Moment ergriffen und geschockt. Danach ist man geschockt und ergriffen. Die Klowände Deutschlands taten das ihre, um auf diesen „Angriff“ zu reagieren. Und sie taten es wie zuvor schon bei der Kampagne. Bitte lest selbst. Hier, hier und hier (zum Beispiel) oder man macht, was Jean-Remy in der Mail vorschlägt: Man suche einfach mal bei technorati.com (und wenn wir schon dabei sind, sollte man auch mal nach dem Begriff „Jung von Matt“ suchen, um sich darüber zu informieren, wie beliebt und in aller Munde die Agentur mittlerweile ist).

Ein kleine pikantes Detail möchte ich hier noch zum Besten geben, das ich in Alex Wunschels „Tellerrand“ Podcast gehört habe: Offensichtlich hat ein anonymer Kommentar Schreiber auf dem Blog von Jens Scholz versucht, die Mail von Jean-Remy herunter zu spielen. Bei Überprüfung der IP-Adresse kam heraus, dass dieser Anonyme an einem Rechner saß, der in den Büros von Jung von Matt steht. Peinlich, peinlich. Und schlimm, dass man offensichtlich nicht aus Jambas Fehlern gelernt hat, die ebenfalls mit gut gemeinten Kommentaren versucht hatten, beim Spreeblick-Blog gegen Johnny Häuslers Sparabo-Attacken vorzugehen.

Also Herr von Matt, Sie haben hier einige Fehler gemacht, die man als Profi einfach nicht machen sollte. Und das sage ich Ihnen als absoluter Anfänger und Unwissender.

Zunächst stellt sich die Frage, weshalb die Kampagne so veräppelt, nicht ernst oder erst gar nicht wahr genommen wird. Woher kommt die Miesepetrigkeit (davor und danach)? Ganz einfach. Weil Deutschland einfach Miesepetrig ist. Und Deutschland ist auch noch stolz darauf (oder bemerkt es einfach nicht). Und Deutschland will sich von keinem vorschreiben lassen, wie es gerade fühlen soll. Oder gar wer oder was es ist (der Hintergrundmelodie des Werbespots nach sind wir alle Forrest Gump – und das wäre nicht mal soo schlecht). In Zeiten der Globalisierung, des Enger-zusammenrückens aus Angst vor Terror, Umweltkatastrophen und einer Kanzlerin fällt es schwer genug die eigene Identität zu finden. Da muss kein dahergelaufener Werbespot kommen und mir was von Schmetterlingen und Orkanen in China erzählen, die dort einen Sack Reis umwerfen. Ich weiß, dass ich Deutschland bin. Aber die Miesepetrigkeit wurde uns die Wiege gelegt, zusammen mit dem schlechten Gewissen und der Scham. Wir sind keine Hauruck Gesellschaft wie die USA die mit ein paar „Jahuus“ und „Tschakas“ motiviert werden kann. (By the way: Hallo liebe Walmart Mitarbeiter. Müsst ihr immer noch jeden Morgen zusammen Juhuu und Tschaka rufen um euch für den Tag zu puschen? Fühlt ihr euch dann so richtig Deutschland?)

Weiterhin sollte Ihnen, Herr von Matt, vorher schon klar gewesen sein, gegen wen Sie hier wettern. Man muss einfach mal davon ausgehen, dass der gemeine Blog-Schreiber einen gewissen Intelligenzquotienten hat, der ihn dazu befähigt, nachzudenken, zu reflektieren, sich zu äußern. Auch das ist Deutschland. Das ist das denkende Deutschland. Und um es noch schlimmer zu machen: das ist das denkende Deutschland, das durch Blogging eine Stimme gefunden hat. Meinungsfreiheit in Reinform.

Es war also abzusehen, welche Art von Lawine hier los getreten wird. Und hier unterstelle ich als Laie einfach mal dem Profi in Sachen Marketing, dass ganz bewusst so gehandelt wurde. Wir alle wissen dass keine Publicity noch schlechter ist als schlechte. Nun, für Publicity hat Jean-Remy gesorgt.

P.S.: Herr von Matt, Sie als Schweizer (also nicht Deutschland!) werden mich verstehen, wenn ich folgendes sage: Würde der Slogan lauten: „Du bist Deutschland, arbeitest in der Schweiz und wohnst in Frankreich“, dann würde ich sofort zustimmen und laut Juhuu und Tschaka ausrufen.

Update um 19:24: Jean-Remy „entschuldigt“ sich bei den Bloggern, ohne allerdings Seitenhiebe lassen zu können. Nunja, Herr von Matt, wir wissen um die „virale Kraft“ der Blogs und Sie als Werbetreibender und immer auf der Suche nach der passenden Plattform, um Werbung zu verbreiten wissen dies natürlich auch. Ein logischer Schritt also sich diese Gemeinde nicht zum Feind zu machen. Vielleicht sind wir bald Kunden, Zielgruppe und Macher in einem.

Auf Melas Blog wird das alles noch schön auseinander gepflückt.

Kommentare

  1. Neoliberal und menschenverachtend? Nun, das kann ich beides nicht entdecken. Man kann von der Kampagne halten, was man will, aber diese beiden Begriffe fallen mir dazu ganz bestimmt nicht ein. Da muß man schon sehr weit links stehen, um so zu empfinden, oder?
    Außerdem solltest Du etwas vosichtig sein, Deine Kommentare einfach per Copy & Paste in alle möglichen Blogs zu schreiben, nur um am Ende auch noch schön auf Deine Seite hinzuweisen. Geschehen bei mir, bei Coram Publico und Melas Biotop.

  2. Betr.: Unser aller Jean-Remy von Matt, oder „Remy-Demy vom Mattsch inne Birne“.

    Ich finde dem Mann wird entschieden zu viel der Ehre angetan, wenn man sich mit seinen Ergüssen ernsthaft auseinandersetzt.
    Wie kann man jemanden ernst nehmen, der verantwortlich ist für diese neoliberale, menschenverachtende DbD-Kampagne und anschließend dreist und verlogen genug ist zu behaupten er sei noch immer ergriffen wenn er sich diese Spots ansieht?
    Die einzige Ebene auf der man sich mit ihm auseinandersetzen könnte ist seine eigene, eben diese:
    Jean Remy von Matt (Remy-Demy vom Mattsch inne Birne) Brief an die Mutter

    Nachzulesen auf http://Fettisch.de – voll Fettisch!

  3. Ich spare mir jetzt meinen Blog-Eintrag zu dem Thema, obwohl auch ich mich natürlich angesprochen fühle und durchaus meinen Senf zu dieser Koksnase abzugeben hätte.
    Da gebe ich lieber ein paar Klasse Weblog-Links zum guten:
    https://static.flickr.com/38/85586793_448209f496_b.jpg

    http://dermorgen.blogspot.com/2006/01/satire-jean-remy-von-matt-ist-klowand.html

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