Die Vergangenheit ändern

Aus purer Langeweile machte ich mich daran, meine alten Blogeinträge durchzustöbern. Teilweise war ich amüsiert darüber, worüber ich schon philosophiert habe, manchmal erstaunt, was bereits angesprochen worden ist. Doch leider musste ich mich auch einige Male mit Schrecken abwenden, ob dem Quatsch, den ich hier mitunter von mir gegeben habe. Nicht nur inhaltlich, auch stilistisch. Hinzu kommen Artikel, die (jetzt) völlig uninteressante Themen abhandeln oder eine Einstellung widerspiegeln, mit der ich mich heute gar nicht mehr identifizieren kann. „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann“ sagte Francis Picabia einst und ich denke mehr denn je über seine Bedeutung nach. Nicht zum ersten Mal, wie ich betonen muss. Im April 2007 habe ich schon einmal über früheres Denken sinniert und in einem Artikel mit eben diesem Zitat als Titel verarbeitet. Offenbar scheine ich mich öfter anders zu entscheiden, umzudenken, mich überzeugen lassen oder mich von etwas abwenden, als mir bewusst ist. Auch mein Kopf ist rund und meine Gedanken – jeder der mich kennt, wird es bestätigen – drehen sich oftmals im Kreis und ändern die Richtung fünfhundert Mal.

Im Leben kann man nichts ungeschehen machen, die Vergangenheit lässt sich nicht ändern. Man macht Fehler, man lernt aus ihnen (oder auch nicht), man erinnert sich (oder auch nicht). Im Netz ist das anders. Es ist ein leichtes, in die Vergangenheit zu wandern und oftmals genauso leicht, Vergangenes zu ändern. So könnte ich beispielsweise alle Aussagen in meinem Blog löschen, die mich skeptisch über Apple denken ließen. Denn ich war skeptisch, verteidigte Windows (XP wohlgemerkt) wo es nur ging und dachte nicht im Traum daran, mir ein solch teures Luxus-Gerät wie ein Macbook zuzulegen. Die Geschichte zeigte, dass ich meine Meinung komplett geändert habe und mittlerweile quasi zum Apple-Fanboy mutiert bin. Werde ich heute noch auf meine damalige Einstellung festgenagelt (schließlich hat man es schriftlich), ist mir das unangenehm und ich ertappe mich dabei, mir an den Kopf zu fassen und zu fragen „Was hast du dir damals nur dabei gedacht, du Trottel?“.

Hypothetischer Gedanke: Angenommen, jemand hat Interesse an mir, als Mensch wohlgemerkt, und beginnt, mein Blog von vorne bis zum Ende zu lesen – welchen Eindruck würde er über mich gewinnen? Dass ich ein wankelmütiges Wesen habe? Mich ständig anders entscheide? Oder vielleicht nicht einmal zu einer eigenen, festen Meinung imstande bin? Kein angenehmer Gedanke, oder? Was also läge näher, als alle Ideen und Meinungen, die heute keine Bedeutung mehr haben, zu tilgen? Zensur an der eigenen Vergangenheit üben.

Wie manche von euch vielleicht wissen, habe ich irgendwann im letzten Jahrtausend einen Roman geschrieben und diesen sogar veröffentlicht und verkauft. Damals platzte ich schier vor Stolz. Heute wende ich mich ab, wenn ich das Exemplar im Regal liegen sehe. Ich stehe nicht mehr zu meinem Werk und möchte nicht damit identifiziert werden. Das einzige, was ich noch akzeptiere, ist die Tatsache, vor Äonen einmal einen Roman veröffentlicht zu haben. Welchen und in welcher Qualität, das ist egal. Auch meine alten Kurzgeschichten und Gedichte lassen mich eher Kopfschütteln als mir ein Lächeln zu bereiten. Es ist, als stünde ich nicht mehr zu mir und meiner Vergangenheit und das, was mich einst ausmachte.

Doch bevor ich nun gar zu psychologisch werde – es ging mir eigentlich nur um mein Blog und um die Tatsache, dass man im Netz die Vergangenheit ändern kann. Im eigenen Blog einfacher als anderswo. Ich könnte Artikel löschen. Andere einfach umformulieren, eine geschliffenere Sprache nutzen, Bilder ersetzen. Ich könnte wie George Lucas mein Star Wars Universum nochmals durch den Rechner jagen, um es so aussehen zu lassen, wie ich es immer wollte. Was heißt immer? Wie ich es jetzt wollte.

Doch ist das sinnvoll? Welchen Erfolg George Lucas hatte, wissen wir. (Ich hatte tatsächlich einmal die Idee, meinen Roman nochmals neu zu schreiben) Gehört mein ehemals Gedachtes und Geschriebenes nicht genauso zu mir, wie der Artikel, den ich gestern verfasste? Ist die Entwicklung, die ich im Laufe der Zeit, im Laufe des Blogs durchlief nicht genau das, was mich zu dem Roger macht, der jetzt gerade tippt? Bin ich nicht die Summe aller bisheriger Gedanken, Fehler und Richtungsänderungen? Und ist es nicht genau das, was am Tagebuch-schreiben oder bloggen fasziniert: Eine Entwicklung zu sehen? Ich habe mich als Mensch natürlich entwickelt, ebenso als Schreiber, als Blogger, als Konsument. Ich habe Fehler gemacht, habe abgewogen, umentschieden, und nach Verbesserungen gesucht. Und hier bin ich. Und werde in drei Jahren vielleicht die Hände vors Gesicht schlagen, wenn ich das hier lese. 

Ist es sinnvoll, alte Artikel zu überarbeiten? Oder unnütze gar zu löschen (längst nicht mehr vorhandene Videos oder Trailer zu Filmen, die mittlerweile im Fernsehen laufen)? Oder sollte mein Blog genau so bleiben wie es ist. Mit allen Fehlern, Unzulänglichkeiten, Stimmungs- und Meinungsschwankungen, die im Grunde mich selbst beschreiben? Ich glaube, all die Fragen beinhalten bereits die Antwort.

Als kleine Anekdote am Rande stieß ich beim Stöbern auf einen Artikel vom 31.Januar 2006.  Mittlerweile also über drei Jahre alt. In diesem Eintrag (mit mittlerweile veraltetem Link) schwärmte ich von Honda und speziell von der damaligen Neuerscheinung, dem Honda Civic. Und jetzt ratet mal, welches Auto ich mir gerade gekauft habe und euch demnächst in einem bebilderten Artikel vorstellen werde. Manches hat doch Bestand. Manche Meinungen bleiben. Und diese Verbindung aus der Vergangenheit in die Gegenwart zauberte mir doch ein Lächeln auf mein Gesicht.

Kommentare

  1. Eine weitere möglichkeit wäre, die änderungen separat zu sichern,(eine kopie vom alten Blog bestehen lassen) so dass man die Gedankenveränderungen zeitlich beobachten kann.

  2. Ja, ab und an ein bisschen ausmisten – das mache ich ehrlichgesagt auch schon mal. Wenn ich Schwachsinn geschrieben habe oder gar zu persönliches. Manche regen sich über sowas auf – das würde das „Ergebnis“ verfälschen – aber das ist egal, ist ja schliesslich mein Blog :-)

  3. @Offensichtlich: Ähnlich mache ich es auch. Zuerst die aktuellen Artikel, dann querlesen. Ganz hinten fange ich eigentlich nie an. Was teilweise auch an den Blogs selbst liegt, die keine Möglichkeit bieten, dorthin zu gelangen. So fehlt meinem Blog bisher auch noch ein vernünftiges Archiv. (Was so schnell wie möglich behoben wird)

    Ich selbst habe sehr alte Artikel auf die auch heute noch Stolz bin. Aber eben auch unnötiger Quatsch wie beispielsweise der Hinweis auf Plugins in der Seitenleiste, die ich jetzt nicht mehr habe oder Youtube Trailer, die ohnehin gebannt sind. Solche Artikel gilt es noch auszumerzen. Denn ich fürchte, dass die guten Artikel in diesem „Müll“ etwas untergehen.

  4. Ja, das Rückwärtslesen, das bringt manchmal sehr erstaunliches an den Tag. Wenn ich auf neue Blogs stosse, die mich interessieren, lese ich meist die ersten zehn Artikel – und fange dann ganz, ganz hinten an. Und da entdeckt man dann die wirklich spannenden Dinge. Oft noch ungeschliffen, direkt, pur…

  5. @Boris: Das bietet sich natürlich an, aber auch nur bei Artikeln, die es auch wert sind, sie zu archivieren. Wenn ich ein Youtube Video vorgestellt habe, dass es mittlerweile nicht mehr gibt, ist ein archivieren obsolet.

    @Mai_Kaefer: Ein wahres Wort gelassen geschrieben. Ich stehe natürlich auch zu meiner Veränderung in meinem Blog. Und wünsche Dir viel Spaß, beim Lesen der alten Artikel daran teilzuhaben.

    @Halunke: Ja, selbst die größten Künstler haben mal klein und schlecht angefangen.

    @B-Tina: Zunächst mal ein allerherzlichstes Willkommen. Du warst viel zu lange weg! Zum restlichen Kommentar kann ich nun nicht allzuviel sagen, da ich eine gewisse Zeit brauchte, um den Zusammenahng zu meinem Artikel zu erkennen. Und die Frage noch immer bleibt, weshalb du deine Erfindung in meinen flüchtigen Kommentaren verewigt wissen wilst, statt in deinem eigenen Blog. ;-)

  6. B-Tina (die sich hiermit offiziell zurückmeldet)

    So ein bisschen erinnert mich das an meine Jugendsünden fernab der virtuellen Welt.
    Nicht nur, dass ich tatsächlich meinen Vater heiraten wollte- nein, ich fand es eine Zeitlang mal hip, meine Stifte nicht in meiner Federmappe, sondern in einem Gefrierbeutel mit Kringelband mit in die Schule nehmen.
    Was war ich stolz auf meine sensationelle Idee, den ab sofort konnten auslaufende Stifte nicht mehr die Bücher verschmieren, sondern versifften lediglich die austauschbare Tüte.

    Vermutlich gibt es niemanden mehr, der sich an meine Erfindung erinnert. Aber dieser Blog wird dafür sorgen, dass mein revolutionärer Einfall in die Geschichte eingehen kann.
    Danke Roger, dass ich es mal loswerden konnte ;o))

  7. ich habe mal ein paar notizen von kafka in die hände bekommen (natürlich nicht im orginal) und es gibt bei uns in der bib auch irgendwo ein sammelband mit goethes ersten gehversuchen… wenn man das so liest, dann wird einem ganz schnell schwindelig!

  8. mai_kaefer

    Wie war das noch?:
    NICHTS IST SO BESTÄNDIG WIE VERÄNDERUNG!
    Und genau davon lebt doch auch so ein Blog.
    Werde mich gerne mal hier rückwärts orientieren, bin gespannt.

  9. Genau mit dieser Frage hatte ich mich auch einmal beschäftigt: Sollte man ab und zu mal sein Blog aufräumen, sprich von völlig sinnfrei gewordenen Beiträgen befreien? Von Beiträgen, die zu ihrer Zeit kurzfristig Relevanz hatten, heute aber gar keine mehr?

    Wobei ich aber nicht anfangen würde, Beiträge daraufhin zu prüfen, inwieweit sich persönliche Einstellungen geändert und entwickelt haben. Oder ob ich heute noch zu damaligen Aussagen stehen kann oder nicht.

    Es gäbe aber anstelle des Löschens auch die Möglichkeit, sinnlos gewordene Beiträge zu „privatisieren“ (bei WordPress) und sie somit aus dem öffentlich lesbaren Blog herauszunehmen.

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