Ein Kopfbahnhof war und ist etwas Besonderes. Im Vergleich zum alltäglichen Durchgangsbahnhof stellt der Kopfbahnhof architektonisch und auch betrieblich eine große Herausforderung dar. Und er macht Sinn. Wo der Platz für einen Durchgangsbahnhof fehlt, weil es die örtlichen Bedienungen oder einfach das natürliche Wachstum einer Stadt verhinderte, kam ein Kopfbahnhof zum Zuge (sic!). So haben sehr viele deutsche Großstädte einen Kopfbahnhof. Beispielsweise München, Frankfurt oder Leipzig. Und natürlich auch Stuttgart.
In früheren Jahren waren Kopfbahnhöfe betrieblich sehr aufwändig. Ankommende Züge mussten in entgegen gesetzter Fahrtrichtung wieder abfahren. Um dies zu bewerkstelligen, brauchte es eine neue Lokomotive, die schon vor der Einfahrt des Zuges auf einem Nebengleis bereit stand und sofort nach Halt des Zuges an dessen Ende angekuppelt werden konnte. Ein solcher Richtungswechsel ging daher nur mit erheblichem Aufwand, mit einer Menge Personal und Zeitverlust über die Bühne. Abhilfe schaffte bald die Erfindung der Steuerwagen. Hierbei verbleibt die Lokomotive an ihrem Platz im Zug. Dieser wird dann einfach durch einen Führerstand im letzten Waggon gesteuert. Langwieriges Umrangieren entfiel und ein Zug konnte schnell den Bahnhof wieder verlassen. Unabdingbar in derart großen Knotenbahnhöfen.
Mit dem Einsetzen der ICE-Züge sprach sich die Bahn schon vor vielen Jahren dafür aus, im Fernverkehr möglichst auf Lok-gezogene Züge zu verzichten. Triebzüge, die grundsätzlich an beiden Enden über einen Führerstand verfügen sind universell einsetzbar und an jedem Bahnhof (egal ob Kopfbahnhof oder nicht) zu wenden. Aus meiner Erfahrung als ehemaliger Fernverkehrslokführer weiß ich noch, welch großer Aufwand in Basel SBB nötig war, wenn Eurocitys von Deutschland weiter in die Schweiz fuhren und die deutschen Lokomotiven mit entsprechenden Schweizer Lokomotiven getauscht werden mussten. Mit der Einführung internationaler Triebzüge entfiel auch das.
So ist es eine Tatsache, dass die Bahn sich löblich darum bemühte, den Aufwand der nunmal bestehenden Kopfbahnhöfe zu verringern, indem man entsprechende Fahrzeuge bestellte. Die Standzeit eines ICE in einem Kopfbahnhof ist nur marginal länger als in einem Durchgangsbahnhof. Ziel des Fernverkehrs ist es, mit Lokomotiven bespannte Züge nur noch in Ausnahmefällen fahren zu lassen. Angesichts dieser Tatsache ist ein Festhalten an einem Projekt wie Stuttgart 21 nur als politische Dummheit zu bezeichnen. Wenig spricht dafür, aus dem Stuttgarter Hauptbahnhof einen Durchgangsbahnhof zu machen. Die nötigen Mittel für den Aufbau rechtfertigen in keiner Weise den zu erwartenden Vorteil.
Das Projekt Stuttgart 21 war von Anfang an eine Totgeburt, die bislang Planungsgelder in Millardenhöhe verschlungen hat, von den Bürgern nicht gewollt und ein reines Prestigeprojekt ehemaliger und jetziger Politiker ist. So hört man die Projektgegner argumentieren. Die Befürworter hingegen führen an, dass durch den Bau eines unterirdischen Durchgangsbahnhofs die zugegeben sehr große Fläche des Vorbahnhofs entfällt und für den weiteren Städtebau genutzt werden kann (wie oben erwähnt, haben Kopfbahnhöfe durch notwendige erhöhte Logistik viel mehr Weichen und Gleise als ein Durchgangsbahnhof). Außerdem würde der Schienenverkehr schon dadurch beschleunigt, als Züge in einen Durchgangsbahnhof mit 60 bis 100 km/h einfahren können, während im Kopfbahnhof nie mehr als 30 km/h erlaubt sind. (Aus meiner Erfahrungen weiß ich selbst, dass sich Verspätungen nur durch gekonntes Bremsen wieder „reinholen“ lassen. Züge fahren niemals über ihre erlaubte Geschwindigkeit hinaus, aber ein schnelleres Einfahren und späteres Bremsen im Bahnhof bringt gut zwei Minuten Zeitgewinn mit)
Die Bauarbeiten am neuen Stuttgarter Bahnhof haben in diesen Tagen begonnen und die Gegner und Demonstranten gehen auf die Barrikaden. Zu Recht, wie ich finde. Mir scheint es, als hätte sich Stuttgart 21 irgendwann zu einer fixen Idee entwickelt. Ein Traum, den einige Köpfe auf Biegen und Brechen durchsetzen wollten, planten, Gelder ausgaben, Verträge unterschrieben. Mit dem Ergebnis, dass dieser Traum nun an einem Punkt angelangt ist, wo er zwar immer noch keinen wirklichen Sinn macht, aber eigentlich nicht mehr rückgängig zu machen ist. Liest man die technischen Details, so kann man sich natürlich die Vorteile schön rechnen, die Anbindungen an den internationalen Verkehr loben, die Bereitstellung neuer Wohnfläche in der Stuttgarter City erwähnen und selbst die Schaffung der Arbeitsplätze für den Bau selbst mit einbeziehen. Doch auch hier stellt sich grundsätzlich die Frage nach dem Kosten/Nutzen-Faktor. Und letztlich scheint auch eine persönliche Note mitzuspielen. Ich selbst bin zwar kein Suttgarter, weiß aber von einigen Bewohnern, dass sie ihren Bahnhof lieben, so wie er ist. Als Knotenpunkt in der Innnenstadt. Als sichtbares Tor zur schwäbischen Metropole.
Ich frage mich, ob Frankfurt beispielsweise auch schon einmal darüber nachgedacht hatte, ihren Kopfbahnhof unterirdisch als Durchgangsbahnhof zu erneuern. Schließlich ist auch Frankfurt ein nicht zu unterschätzender Knotenpunkt im internationalen Reiseverkehr (wobei man sich in Frankfurt natürlich mit dem Flughafen-Bahnhof eine schnelle Möglichkeit in unmittelbarer Nähe gebaut hat). Dass die Umwandlung eines Kopfbahnhofs zu einem Durchgangsbahnhof auch Probleme mit sich bringen, zeigt Köln sehr deutlich. Viele wissen gar nicht, dass auch Köln Hbf ursprünglich ein Kopfbahnhof war. Erst sehr viel später wurde beschlossen, den Bahnhof über die Hohenzollernbrücke durchgängig zu machen. Angesichts des geringen Platzes direkt vor dem Kölner Dom mussten dafür extrem enge Weichenanlagen und Kurven gebaut werden. Mit dem Ergebnis, dass die Weichen vor dem Kölner Hbf deutlich wartungsintensiver sind als anderswo, bedingt durch die hohen Belastungen, denen sie minütlich ausgesetzt sind. Dies ist natürlich nur ein kleiner Makel und würde nicht im Geringsten dafür sprechen, Köln als Kopfbahnhof bestehen zu lassen.
Stuttgart 21 wird kommen, zu viel wurde bislang investiert und zu viele Köpfe wollen das Ende des Kopfbahnhofs sehen. Ob das Projekt Sinn macht, wage ich persönlich allerdings zu bezweifeln.
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