Allein ins Kino: Reloaded

So mache ich mich also auf den Weg. Zu Fuß, den iPod endlich mal wieder nutzend, die Hände tief in die Jackentaschen vergraben und einem eisigen Wind trotzend. Damals, als ich noch für das Freiburger Online Magazin fudder die Filmkolumne schrieb, hätte ich viel öfter ins Kino gehen sollen. Schließlich wäre ich umsonst rein gekommen. Allerdings war es damals ein Weg von fast einer Stunde, während ich nun in 15 Minuten zu Fuß am Hauptbahnhof und damit im großen Kino bin.

Als ich der Kassiererin sage, dass ich gerne eine Karte für Cloverfield hätte, wiederholt sie die Frage: "Eine Karte?" Mit Betonung auf dem Wort "eine" und dem Subtext: "Sie sind so allein, dass sie niemanden finden, der mit ihnen ins Kino geht?" Ich versuche es zu ignorieren, kaufe eine Tüte Popcorn (die ich mir durch den Kalorien-verbrennenden Marsch verdient habe) und gehe in den Kinosaal.

Ich setze meinen Gedanken fort, den ich schon vor vielen Jahren begonnen habe. Der Unterschied zwischen Einsamkeit und Allein sein. Das Allein sein kann man wählen, die Einsamkeit wird einem aufgezwungen. Allein sein kann manchmal ganz angenehm sein. Einsamkeit nicht. Allein sein kann man nur alleine. Einsam kann man auch mit vielen Menschen sein.

Vielleicht scheue ich mich deshalb davor, irgendwo alleine hinzugehen. Weil unter vielen Menschen das Allein sein sich schnell wie Einsamkeit anfühlt oder gar zu einer wird. Nirgendwo fühlt man sich alleine verlorener als zwischen vielen (am besten glücklichen) Menschen.

Soviel auch zu dem weisen Spruch, den man früher oder später immer zu hören bekommt: "Du musst halt auch mal raus." Raus. Was heißt das, raus? Wohin raus? Ich zog mir mal die Schuhe an und ging hinunter auf die Straße. Ich war raus. Und dann? "Nein, ich meine damit, du mußt unter Leute." Solche Weisheiten hört man interessanterweise nur, und ich betone, nur von Menschen, die es zwar gut mit einem meinen, die aber immer in einer glücklichen Beziehung stecken oder mit einem großen Freundeskreis gesegnet sind. Leute, die sich nicht alleine in ein Cafe, ein Restaurant, ein Kino setzen wollen, nur um sich dort noch mehr allein zu fühlen, sagen solche Weisheiten nie.

Wie auch immer, ich bin draußen, sitze in einem Kino, ganz hinten in der Mitte. Einige Plätze vor mir werden durch Pärchen und Grüppchen eingenommen. Sie drehen sich zu mir um, tuscheln und zeigen mit dem Finger auf mich, während sie das tun. Vielleicht sieht das im Halbdunkel aber auch nur so aus. Irgendwann taucht ein zweiter einsamer Kerl auf. Und er setzt sich, wie könnte es anders sein in einem noch fast leeren Kino, direkt neben mich. Er stinkt wie ein toter Dachs, er grunzt Kommentare und er wedelt ständig mit den Armen. Ich rücke drei Sitze weiter. Da erscheint ein weiterer einsamer Kerl. Und, ihr werdet es nicht glauben, setzt sich neben mich. Ich rücke wieder einen Sitz in die andere Richtung. Die Werbung beginnt. Und die letzte Reihe des Kinos ist mit drei einsamen Kerlen besetzt.

Bin ich denn wirklich einsam? Nein. Nur im Moment alleine. Was aber auch gerade keinen Spaß macht. Alleine bin ich dann doch lieber alleine. Ich beschließe, den nächsten Kinobesuch nur noch in Begleitung zu unternehmen.

Ich beschließe außerdem, den kleinen Drecksäcken links ein paar aufs Maul zu geben, wenn sie nicht endlich aufhören, im Kino herum zu rennen und zu grölen. Ich beschließe, dem Stinker zu meiner Rechten, die Hände auf den Rücken zu binden, wenn er nicht bald aufhört zu wedeln. Ich beschließe, den beiden Idioten vorne rechts solange ans Schienbein zu treten, bis sie mit ihren Unterhaltungen aufhören. Hat denn noch keiner außer mir bemerkt, dass der Film schon seit zehn Minuten läuft? Fünfzehn Menschen, in einem ansonsten leeren Kinosaal und ich scheine der einzige zu sein, der einfach nur den Film sehen will. Gehen andere Leute ins Kino, um etwas anderes zu tun als Filme schauen? Oder denken andere Leute sie seien, haha, alleine im Kino?

Der Film ist zu Ende, draußen stürmt und regnet es. Während ich gegen den noch eisigeren Wind ankämpfe, denke ich an den großen LCD Fernseher, der nächste Woche geliefert wird. Dann findet Kino bei mir zuhause statt. Und da ist es egal, ob ich alleine da sitze. Vielleicht kommt mich ja jemand besuchen. Und wenn man quatschen möchte, drückt man einfach auf Pause. Vielleicht gucke ich aber auch wieder alleine Filme. Doch zu hause alleine ist definitiv schöner als draußen alleine.

Kommentare

  1. schöner text, so gehts mir auch manchmal.

    „drive“ kann ich nur empfehlen, das ist ein toller film!

    gruß,
    k.

  2. Also ich hab schon vor ein paar Tagen überlegt, ob ich nicht allein ins Kino gehen sollte und hab dann mal ein bisschen gegoogled und bin so auf deinen Beitrag gekommen. Und gestern Abend habe ich es dann gewagt. Weil der Tag sowieso schon scheiße war und eigentlich kaum schlimmer werden konnte. Und weil ich wenigstens nach einem Scheißtag den unglaublich charismatischen Hauptdarsteller von „Drive“ sehen wollte.
    Und ich muss sagen: es war gar nicht so schlimm. Ich stand zwar etwa fünf Minuten vor dem Kino (ständig auf mein Handy schauend als wäre ich versetzt worden) und hab überlegt, ob ich nicht doch wieder gehen sollte, aber ich wollte lieber den Film sehen. Also stellte ich mich in der Schlange an und der Typ hinter mir kaufte dann tatsächlich auch nur eine Karte. Das hat mich schon mal etwas entspannt. Den Rest erledigte dann das Bier und das Licht, das zum Glück ziemlich schnell aus ging. Und der unglaublich charismatische Hauptdarsteller…

    1. Das klingt ja wie ein doch recht positives Erlebnis. Ich habe Drive übrigens noch nicht gesehen, bin aber sehr neugierig darauf. Alleine dafür ins Kino würde ich aber wohl nicht.

  3. Jau, klar meinte ich die Nicht-Auflösung – was ja auch wieder eine Form der Auflösung ist.

    Natürlich hast Du recht, dass ein demonstratives Weggehen um des Weggehens willen sicherlich auch mindestens merkwürdig wäre.
    Ich bezog mich auch eher auf die Momente, in denen ich einfach Lust habe auf Kino, und in denen ich mich dann nicht einschränken lassen will, wenn niemand mitkann/-will.

  4. Mir ist freilich klar, was alle mit dem Satz „Du musst raus“ meinen. Mir gefällt einfach nur die Einfachheit nicht. Denn das wäre als würde ich zu jemanden, der gerne fliegen würde sagen: „Du mußt einfach mit den Armen auf und ab schlagen.“ So einfach ist es eben nicht. Wenn schon gut gemeinte Ratschläge, dann auch bitte Ratschläge, mit denen man etwas anfangen kann.

    So etwas wie Friendchasing gibt es leider nicht, oder ich habe es bisher noch nicht entdeckt. Sachen wie Friendscout oder Neu.de sind ja mehr Singlebörsen. Und Newintown ist so fürchterlich zu bedienen, dass man gleich die Lust verliert.

    Und Schichtdienst macht es natürlich auch nicht leichter, etwas auf die Beine zu stellen. Bei Spätschichten habe ich nur ein paar Stunden am Vormittag, bei Frühschichten bin ich den ganzen Tag erschlagen, bei Nachtschichten fällt das Abendprogramm flach…

    So versuche ich noch immer vielleicht mal meine Pläne mit Fitness Studio, Spanisch- und/oder Gitarrenkurs umzusetzen, oder mich eben auch mal den Arbeitskollegen anschließen zu können.

    Letzlich wäre etwas wie Friendchasing echt optimal. Wenn ich programmieren könnte, würde ich sofort ein solches Projekt hier starten. Als Admin lernt man zwangsläufig alle kennen. ;-)

  5. Natürlich ist es völliger Blödsinn einfach nur so „raus“ zu gehen. Ich meinte damit, und ich schätze alle anderen auch, dass du dir Möglichkeiten erschließen solltest, neue Freunde zu finden. Gibt’s sowas wie Friendchasing nicht auch in Duisburg?

  6. Tja, Radebrum, deinem ersten Absatz ist nichts mehr hinzuzufügen. Besser hätte ich es auch nicht beschreiben können. Diese „Jetzt erst Recht“ Attitüde muss ich mir noch zulegen. Auch wenn ich nicht alleine ins Kino gehen will, nur um zu demonstrieren, dass ich es kann. Dann doch lieber mit dem Vorwand, dass ich als Filmfreak auch jeden Film gesehen haben muss, um letztlich hier darüber zu scheiben. ;-) (Was natürlich auch nur eine Ausrede wäre, nicht wahr)

    Zu Cloverfield: Du meintest doch die konsequente NICHT-Auflösung, oder?

  7. Tja, was soll man dazu sagen? Erscheint mir irgendwie durchaus mehr als menschlich, dass Dir das Alleinsein im Rahmen eines klassisch kollektiven Gemeinschaftserlebnisses (und wo sonst ist das ähnlich deutlich spürbar als im semi-öffentlichen Raum als Kinorezipient?) besonders auf die sprichwörtlichen Eier geht.

    Bei mir jedoch – bin als jahrelanger „immer wieder mal auch gerne alleine ins Kino-Geher“ wohl einfach etwas abgehärtet respektive abgestumpft – hat sich da mittlerweile eine deutlich stärkere „Jetzt erst recht“-Attitüde diesbezüglich entwickelt. Wohin kämen wir denn, wenn in einer unserer Single-Gesellschaft mit gefühlten zwei Singles je Paar man nicht einmal mehr demonstrativ ALLEINE ins Kino gehen könnte?

    PS: Cloverfield gerade auch solo gesehen und ähnlich überzeugt wie Du, vor allem bezüglich der konsequenten Auflösung und (bis auf wenige Stellen) dramaturgischen wie atmosphärischen Dichte.

  8. Natürlich ist der Artikel stark übertrieben um ihn dramatischer zu machen. ;-) Aber ehrlich, ich kann den Satz „Du musst raus“ nicht mehr hören. Rausgehen bringt absolut nichts. Und neue Freunde findet man auch nicht einfach nur dadurch, dass man raus geht.

    Naja, nächstens werd ich mich mal mit einem Kollegen auf Fotosafari begeben. Dann bin ich draußen. ;-) Und hab auch endlich mal wieder Material für meine brachliegende Flickr-Gallerie.

  9. Ich bin sicher du bist nur aus literarischen Gründen hier gerade so paranoid und es war wahrscheinlich alles nur halb so schlimm. ;) Ich muss aber deinen Ratgebern recht geben: Du musst raus. Neue Freunde finden sich nicht zuhause vor dem Fernseher. ;)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert