In einem kleinen, verschlafenen Dörfchen im sommerlichen Südtirol wartete ein Paar an der Rezeption eines Hotels darauf, auschecken zu können. Die Gastgeber waren gerade unterwegs. Stattdessen stand eine Mitarbeiterin des Spa-Bereichs an der Rezeption und lächelte so freundlich wie nutzlos. Das Paar stand ebenso nutzlos herum, stützte sich auf den gepackten Koffern ab und sah sich ein letztes Mal in dem Hotel um, das ihnen einige Tage lang als angenehme Unterkunft gedient hatte.
Ihr Blick fiel auf ein kleines Kind, einen Jungen, mit voluminösem, braunen Haar. Er mag vielleicht 1 bis 2 Jahre alt gewesen sein, hockte auf dem Boden neben der hoteleigenen, schläfrigen Dogge und spielte. Vermutlich spielte er „Elektriker“, denn seine volle Aufmerksamkeit galt der Steckdose in der Wand. Konzentriert versuchte er, die Dose zu öffnen oder zumindest seine kleinen Finger in die „Schweinsnase“ zu stecken. Die Dogge ließ das kalt und gähnte.
Auch die Spa-Mitarbeiterin ließ es kalt, denn als das Paar mit leichtem Entsetzen den Blick von dem Jungen auf die Frau wandte, stand sie weiterhin lächelnd da und beobachtete das Kind ebenfalls. Reglos. Dann sah sie auf und begegnete dem Blick des Mannes. Er sagte: „Sollte man das Kind nicht besser davon abhalten?“ Die Mitarbeiterin schien anderer Meinung oder hatte vielleicht die Frage nicht verstanden. Vielleicht hasste sie das Kind. Oder ihren Chef. Vielleicht war sie aber auch eine Hexe, oder schlimmer noch, die Dienerin des kleinen Jungen, der als Sohn des Satans in diesem Haus lebte, stets bewacht von der Höllen-Dogge und der Satans-Braut. Er hieß vermutlich Damien.
Die Mitarbeiterin lächelte ungerührt weiter und die Frau des wartenden Paares sprang auf, nahm sanft den Arm des kleinen Jungen und zog ihn vorsichtig aus der Steckdose. Er wehrte sich nicht, sein Blick war allerdings so missbilligend, wie es seine noch eingeschränkte Mimik zuließ. Die Dogge drehte sich gelangweilt um. Sogleich eilten aufgeregte Herrschaften herein. Die Gastgeber, die dankend ihren kleinen Jungen in Empfang nahmen und in eine andere Ecke setzten. Die Spa-Mitarbeiterin lächelte weiter, als das Paar das Hotel verließ.
Einige Monate später erhielt das Paar eine faltbare Postkarte des Hotels. Übliche Werbepost, die an alle ehemaligen Gäste verschickt wurde. Darauf zu sehen, Impressionen des Hotels, gestellte Spa-Fotos, Berge, gut aussehende, solvente Paare in Bademänteln in großzügigen Zimmern und… ein Foto der Familie. Zu ihren Füßen: das Steckdosen-Kind.
Das Paar dankte der Familie mit einem freundlichen Antwortbrief. Und der las sich so:
„Sehr geehrte Familie Hotel-Gastgeber aus Süditrol. Vielen Dank für Ihre freundliche Postkarte. Wir haben uns ausserordentlich darüber gefreut, dass der kleine Junge noch lebt und offenbar bei bester Gesundheit ist. Er scheint keine weiteren Steckdosen untersucht zu haben, bzw. muss den Schlag wohl gut überstanden haben. Wir fragten uns bei der Heimreise, ob es sich hierbei vielleicht um eine Südtiroler Tradition handeln könnte, kleine Kinder mit 230 Volt zu erschrecken. Falls wir uns irren, senden wir Ihnen anbei einen Steckdosen-Schutz, damit kleine Kinderfinger keinen Schaden mehr nehmen können. Bitte beachten Sie anbei auch den Amazon-Link zu weiteren Steckdosen-Schutzvorrichtungen und eine kleine Anleitung zur Wiederbelebung von Kleinkindern. Wir hoffen, die Dogge und Spa-Mitarbeiterin sind ebenfalls wohlauf, lächeln oder gähnen. Mit freundlichen Grüßen verbleiben wir. Das Paar.“
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